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Das Flipped-Format für Vorträge bei Online-, Hybrid- und Präsenzveranstaltungen

Teil 2 unserer Reihe „Der gute alte Vortrag im neuen Gewand“

Flipped-Format | Jula Henke für J&K – Jöran und Konsorten unterstützt durch Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), CC BY 4.0

Unsere Artikelreihe stellt neue Formate für das wohl älteste Format von Bildungsveranstaltungen vor: den Vortrag, altmodisch „Lehrvortrag“, neumodisch „Input“, „Talk“ oder „Keynote“. Es geht um die Flipped-Methode, die von einer einfachen Grundannahme ausgeht: Der Vortrag wird als Video schon vor dem gemeinsamen Treffen angeschaut, so dass beim Treffen die volle Zeit für Fragen und Diskussionen genutzt werden kann. In der Praxis müssen einige Dinge beachtet werden. Damit das gut funktioniert, berichtet unser Autor Jöran Muuß-Merholz aus eigener Erfahrung.

Wie funktioniert die „Flipped“-Methode für Vorträge?

Im klassischen Vortragsformat gibt es zwei Elemente: 1. der eigentliche Vortrag und 2. Diskussion / Austausch / Fragen / Vertiefung / Anwendung. Traditionell steht das erste Element im Mittelpunkt einer Veranstaltung, also eines gemeinsamen Treffens, während der zweite Teil häufig eine nach- und untergeordnete Rolle spielt. Bisweilen findet der zweite Teil sogar nicht mehr im Rahmen des gemeinsamen Treffens, sondern in der individuellen Nachbetrachtung oder schlimmstenfalls überhaupt nicht statt.

Die Grundidee beim „Flippen“ ist ganz einfach: Die beiden Elemente werden im Hinblick auf die Veranstaltung vertauscht, so dass die komplette Zeit des gemeinsamen Treffens für Diskussion / Austausch / Fragen / Vertiefung / Anwendung genutzt werden kann. Der erste Teil wird dem gemeinsamen Treffen vorangestellt, typischerweise indem ein Vortrag den Teilnehmenden vorab als Video bereitgestellt wird. (Dieses Vorgehen wird in Unterrichtssettings auch als „umgedrehter Unterricht“ oder „inverted Classroom“ bezeichnet (Wikipedia).)

Vorteile, Nachteile und Tipps für den Flipped Vortrag

Wie bei jeder Bildungsveranstaltung ist die Anwendung einer Methode höchst individuell von den konkreten Umständen abhängig. Hier einige Erfahrungen aus der Anwendung in verschiedenen Formaten der Erwachsenenbildung/Weiterbildung:

  • Ein Vorteil ist der Fokus auf den aktiven Teil, also den Austausch, den Transfer zwischen Vortrag und eigenen Themen, auf die Vertiefung und aktive Auseinandersetzung mit dem Thema.
  • Ein Nachteil liegt darin, dass eine deutliche Hürde für die Teilnahme aufgebaut wird. Wer den Input vorab nicht gesehen hat, kann nicht sinnvoll an der Veranstaltung teilnehmen.
  • Dass die Lernenden den Input jeweils für sich wahrnehmen, erhöht die individuelle Flexibilität. Man kann nicht nur für sich selbst entscheiden, zu welchem Zeitpunkt man das Vortragsvideo anschaut, sondern beispielsweise auch mehr oder weniger Zeit dafür investieren, indem man die Geschwindigkeit des Videos ändert, Teile wiederholt oder zwischendurch pausiert, um Dinge nachzuschlagen oder Notizen zu machen.
  • Für viele Veranstaltungen ist beim Vortrag das Gemeinschaftserlebnis wichtig. Die Auslagerung des Vortrags wird in dieser Hinsicht bisweilen als Verlust wahrgenommen.
  • Von zentraler Bedeutung ist eine klare Kommunikation im Vorfeld. Es muss deutlich werden, dass das Video vorab geschaut werden muss, um sinnvoll an der Diskussion teilnehmen zu können. Dabei sollte insbesondere der folgende Punkt deutlich gemacht werden:
    • Es sollte zu Beginn des Treffens keine Zusammenfassung des Inputs geben. Die Erfahrung zeigt, dass das Wissen um eine zusammenfassende Wiederholung falsche Anreize setzt: Diejenigen, die den Inhalt schon präsent haben, brauchen die Zusammenfassung nicht. Und diejenigen, die den Inhalt nicht wahrgenommen haben, lernen dadurch, dass dies auch nicht zwingend notwendig ist. Gerade in einer Situation, in der wir gemeinschaftlich noch „üben“, wie wir solche Formate gestalten, sorgt dieser vermeintliche Kompromiss eher für Unklarheit und Frustration.
  • Es braucht eine Brücke, um die beiden Phasen – Input und Austausch – gut miteinander zu verbinden. Das kann zum Beispiel darüber geschehen, dass der Vortrag mit Leitfragen oder Thesen begleitet wird und die Teilnehmenden wissen, dass diese Fragen/Thesen den Ausgangspunkt der gemeinsamen Diskussion bilden werden.
  • Die Rolle der Moderation/Facilitation ist wichtig, um Klarheit im Vorgehen zu schaffen.
    Das Format funktioniert besonders gut, wenn es in der Zielgruppe bereits etabliert ist. Bei der Einführung kann es zu Schwierigkeiten kommen, quasi „Kinderkrankheiten“, wenn Teilnehmende nicht die Zeit oder die Motivation für die Vorbereitung aufbringen.

Varianten des Flipped-Formats für Online- / hybride Veranstaltungen

Der Flipped-Vortrag ist quasi seiner Natur nach eine hybride Methode, weil der Vortragsteil i.d.R. vorab, online und asynchron bereitgestellt wird. Das gemeinsame Treffen kann wahlweise in Präsenz als auch online stattfinden. Daraus ergeben sich Möglichkeiten für besondere Varianten, die im Folgenden beschrieben sind.

  • Variante „Buchclub“: Die Rolle des Inputs muss nicht zwingend durch ein Video, sondern kann auch durch einen Text, einen Podcast oder ein anderes Material erfüllt werden. (Beim Flipped-Format vermischen sich die Grenzen zwischen Veranstaltung und Material, wie unser Grundsatztext Die tatsächliche Hybridisierung der Bildung beschreibt.)
  • Variante „Schmalspur-Flipped“: Hierbei wird das Vortragsvideo zu Beginn der Veranstaltung gemeinsam angeschaut. Denkbar ist zum Beispiel ein vorgezogener Anfang, für den alle diejenigen eine Stunde früher beginnen, die das Video vorab nicht gesehen haben. Diejenigen mit der „richtigen“ Vorbereitung kommen anschließend hinzu. Hier geht die Flexibilität für diesen Teil der Teilnehmenden verloren, andererseits wird ein gemeinsames Erlebnis möglich.
  • Variante „YouTube reicht!“: Prinzipiell ist denkbar, dass eine solche Veranstaltung ohne Anwesenheit, ja sogar ohne Wissen der vortragenden Person durchgeführt wird. Das ist für alle Themen und Formate denkbar, bei denen der gemeinsame Austausch gut ohne die vortragende Person stattfinden kann und zu denen ein Vortragsvideo öffentlich bereit steht (so wie zum Beispiel unzählige Vortragsvideo auf YouTube). Die Bedeutung einer Moderation/Facilitation, die durch den Prozess führt, wird in diesem Fall prominenter.
Screenshot einer Veranstaltungseinladung mit Option zum „Schmalspur-Flipped“-Vorgehen (Grafik von Jöran Muuß-Merholz für selbstlernen.net, CC0)

Kombination der Flipped-Methode mit dem 3×3-Format

In Teil 1 dieser Artikelreihe wurde das 3×3-Format für Vortragsveranstaltungen beschrieben. Die 3×3-Methode und die Flipped-Methode lassen sich miteinander kombinieren. Dafür werden die Input-Phasen des 3×3-Formats durch vorab aufgezeichnete Videos ersetzt. Das eignet sich besonders für die oben beschriebenen Variante „Schmalspur-Flipped“, bei der das Video zwar vorab aufgezeichnet, aber dennoch gemeinsam geschaut wird. Eine zusätzliche Kombination mit der Variante „YouTube reicht!“ ist möglich. Dann wird ein öffentliches Video in mehrere Abschnitte aufgeteilt und jeweils mit Leitfragen ergänzt, die dann diskutiert werden.

Zusammenfassung und Fazit

Beim Flipped-Format wird ein Vortrag von den Teilnehmenden einer Veranstaltung vorab per Video wahrgenommen. Beim Treffen kann die gemeinsame Zeit für den Austausch genutzt werden. Die Methode kann mit Kinderkrankheiten verbunden sein, wenn eine der Teilnehmenden das Video nicht gesehen hat. Für eine gute Durchführung braucht es eine klare Kommunikation und eine Verbindung zwischen Vorbereitung und Durchführung, beispielsweise durch begleitende Leitfragen. Die Flipped-Methode eignet sich sowohl für Präsenz- als auch für hybride Veranstaltungen.

Dieses Material wurde in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) erstellt.

Lizenz

CC BY 4.0 Logo

Urheberinnen dieses Materials: „Jöran Muuß-Merholz / Agentur J&K – Jöran und Konsorten unterstützt durch Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)“ | https://selbstlernen.net | Lizenz zu diesem Material: CC BY 4.0

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